Yasmine Adam

Titel ohne Titel

Material Zeitung, Fineliner

Format 62 x 392cm

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Frankfurt Zeil
Dicht an dicht, wie die Borsten einer Bürste, stehn‘ Menschen
beieinander, drängen, schieben, überholen im Getummel,
flüchtige Blicke treffen sich, schauen sich Fassaden an und
baden in der Menschenflut.
Mein Ziel fest vor Augen folge ich einem penetranten Gemisch
aus Parfum und Schweiß vorbei am Kaufhausgebläse, das übertönt
wird vom Geplärre eines Kindes… und ich höre Stimmen –
tausend Stimmen, wie sie lauter, leiser werden, an mir
vorbeisummen, wie fahrende Autos.
Ferngesteuert setzen alle im Sekundentakt einen Fuß vor den
andern, wandern, gliedern sich ein, Reihen sich aus, ziehen
ihre Bahnen nach den Ansagen von Google Maps und Karten Apps,
die sie fangen in ihrem Netz aus virtuellen Straßen, Wegen,
Gassen, sich navigieren lassen mit gesenktem Kopf an
Bildschirmen hängen und sich selbst in Rollen zwängen.
Ein Puzzle entsteht aus vielen Teilen, die ihres Ursprungs
entrissen sich Tag ein Tag aus wieder neu anordnen, einfügen,
anecken. Kein Teil gleich dem anderen und doch verschwimmen
sie – die unzähligen Gesichter, Jacken, Taschen, Gestalten –
zu einer homogenen grauen Masse.
Ich blicke auf: Sehe Bäume, Menschen, Masten, die von Banken
der Giganten geschluckt werden.
Ich blicke ab: Glotze auf meinen Guide, der mich durch den
Städtedschungel leitet.
Links neben mir eine kauernde Gestalt, die nicht mehr als ein
Schatten ihrer selbst… Sekundenbruchteile im Vorbeigehen,
der Eindruck verschwindet, abgelöst von überladen-prachtvollen
Schaufenstern dahinter.
Zwei Männer im Anzug überholen mich von rechts – im
Stechschritt geht’s zu Starbucks und dann rein in die Bank.
Bloß keine Zeit verlieren, den Zeit ist Geld und Geld ist
Macht, aber hätte dann nicht der Macht, der am meisten Zeit
hat? Der Gedanke verliert sich in den unzähligen
Gedankenströmen, gesteuert von Werbeslogans und Gruppenzwang
streng ich mich an, mich nicht selbst zu verlieren und finde
mich schließlich im Untergrund zwischen Gerede und Stille
wieder, sitzend auf blauen Polstern, die mich Richtung Heimat
tragen.
Ein Blick in die Zeitung und ich weiß, die Welt besteht aus
Zahlen. Eine kurze Entspannung im Handelsstreit – der Tec-Dax
überholt den M-Dax, die Statistik zeigt das Xetra, wie es
steigt und sinkt, aber sinken ist keine Option, denn die
Wirtschaft muss wachsen, wachsen so hoch, wie die Gotteshäuser
der Kapitalisten zwischen denen sich die Menschen drängen bis
sie zwischen den Zeilen der Zeil verschwinden. Vielleicht
sollte man zwischen den Zeilen lesen?